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Capernaum: Stadt der Hoffnung

In Handschellen wird ein kleiner Junge am Anfang des Films einem Richter vorgeführt. Als er zu seinem Verbrechen etwas sagen soll, sagt das Kind: „Ich will meine Eltern anklagen“. So beginnt der Film, der dann in Rückblicken eine Geschichte erzählt, bei der es den Zuschauern kalt ums Herz wird.

Zain und seine geliebte Schwester © alamode film

Wie alt Zain ist, wissen nicht einmal seine Eltern. Denn gekümmert haben sie sich nie um ihn. Und auch nicht um ihre vielen anderen Kinder. Zain wird auf 12 Jahren geschätzt, als er im Gefängnis landet, weil er einen Mann erstochen hat. Was er davor in seinem kurzen Leben schon alles erlebt und ertragen hat, übersteigt jede Vorstellung. In seinem Blick liegen Wut, Verzweiflung, Verletzlichkeit, Trauer. Es ist das Gesicht eines Kindes, das nie eine Kindheit hatte. Selbst der Schulbesuch wurde ihm und den Geschwistern von den Eltern verweigert. Er muss arbeiten, um die Familie zu ernähren. Als die Eltern seine geliebte Schwester Sahar im Alter von 11 Jahren zwangsverheiraten, hält Zain es nicht mehr aus. Er flüchtet von Zuhause.

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Frau am Steuer

In Saudi Arabien werden Frauen ab Juni dieses Jahres offiziell hinterm Steuer eines Autos sitzen dürfen. Bisher mussten Sie stets auf dem Rücksitz Platz nehmen. Fahren war ihnen verboten. In Ghana hingegen war es Frauen nie verboten, ein Auto zu fahren. Frauen am Steuer gehören zum Straßenbild. Aber nur hinterm Steuer von Privatlimousinen. Was man so gut wie niemals sieht, ist eine Frau, die ein Bus, LKW oder ein Taxi lenkt. Denn bei der Lenkung von sogenannten „commercial vehicles“ sind Frauen bis heute nicht erwünscht.

Eine der ganz wenigen Frauen im  Land, die eine Erlaubnis führt, ein Taxi zu fahren ist Esenam Nyador, besser bekannt als „Miss Taxi“.

Miss Taxi © Tina Adomako

Esenam Nyador hat Sozialwissenschaften an der University of Ghana studiert.  Im Rahmen ihres Studiums in dem sie sich mit Genderfragen befasste,  war ihr aufgefallen, dass der ganze Transportsektor des Landes von Männern dominiert ist. In ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich daher mit dieser Diskrepanz.

„Ich stellte fest, dass es kaum Frauen im Kraftfahrerberuf gibt und wollte herausfinden, warum das so ist. Denn es ist ja nicht so wie in islamischen Ländern, dass Frauen hier nicht fahren dürfen.“ Also machte sie die geschlechtsspezifische Trennung in der Berufswelt am Beispiel des Kraftfahrzeugsektors zum Thema ihrer Masterarbeit. Und sich zum Versuchskaninchen. Von den knapp 5000 registrierten Taxifahrern in der Hauptstadt sind nur 85 weiblich, fand sie heraus. In Kumasi, der zweitgrößten Stadt des Landes gibt es nicht einmal 10 Frauen, die berufsmäßig am Steuer sitzen. Dabei, so das Ergebnis einer von ihr durchgeführten Studienbefragung, fanden die meisten Befragten, dass Frauen umsichtiger fahren, die Verkehrsregeln mehr beachten und weniger Unfälle bauen als Männer. Warum also die Diskriminierung gegenüber Frauen?

Esenam neben ihrem Taxi vor der Univ. of Ghana

In einem Selbstversuch jobbte sie während des Studiums als „Aplanke“ oder „Driver’s Mate“. Der „Mate“ ist in Ghana  der Gehilfe des „Trotro“ (Kleinbus-Sammeltaxi) Fahrers, der für den Fahrer die Destination der Fahrt laut ausruft, Passagiere anlockt und das Fahrgeld einsammelt. So hört man überall dort wo die Trotros anhalten, laute Stimmen, die Stadtteilnamen wie „Labadi! Yes, Labadi!“ oder Orientierungspunkte wie „Circle! Yes, Circle!“ hinausbrüllen. Wer viele Jahre als Aplanke arbeitet, hat die Chance später zum Fahrer aufzusteigen. „Als Aplanke wurde ich  belächelt und nicht ernst genommen“, erzählt Esenam. Aber es kam noch schlimmer, als sie beschloss nicht nur driver’s mate, sondern selbst Berufsfahrerin zu werden. Das war nach dem Studium. „Ich hatte keine Lust, Hunderte von Bewerbungen raus zu schicken in der Hoffnung auf einen Job“, erinnert sie sich. Ich wollte selbständig arbeiten und da ich Autofahren liebe, beschloss ich Taxifahrerin zu werden.

Woher die Liebe zum Autofahren kommt, erzählt sie auch. „Im Dezember 1998 hatte ich einen Autounfall. Ich saß damals hinten in einem Taxi. Danach entwickelte ich eine panische  Angst davor, in einem Auto zu fahren“, sagt die heute 39jährige Alleinerziehende. Doch in einer riesigen Stadt wie Accra ist man auf Autos angewiesen, um von A nach B zu kommen. „Ich musste meine Phobie besiegen. Ich konnte ja nicht überall zu Fuß hin. Da ich keinem Fahrer mehr traute, musste ich selbst zur Fahrerin werden. Ich beschloss also, den Führerschein zu machen um danach so oft es ging selbst am Steuer zu sitzen.“ 2013 kaufte sie dann mit einem Kleinkredit ihr erstes Taxi. Für ihre Berufswahl gab es allerdings wenig Verständnis in ihrem Umfeld – und viele Steine wurden ihr in den Weg gelegt.

„Wenn du in Ghana Taxi fahren willst, musst du erst einmal einer Taxifahrer-Vereinigung beitreten. Ich habe es bei drei verschiedenen versucht. Keine nahm mich auf“, erzählt sie.  „Es war ganz deutlich – sie wollten keine Frau in ihren Rängen haben. Daran hat sich bis heute nichts wesentlich geändert.“

Doch Esenam blieb hartnäckig, ging diplomatisch vor und wurde irgendwann von der Fahrergemeinschaft der Universität als Mitglied aufgenommen. „Wahrscheinlich durfte ich hier auch nur deshalb Mitglied werden, weil ich an dieser Uni studiert habe“, glaubt sie. Doch mit der Mitgliedschaft im Taxifahrer-Männerclub waren ihre Probleme nicht vorbei.  „Es gab Männer, die sich weigerten, mein Taxi zu besteigen, oder die darauf bestanden sofort auszusteigen, als sie merkten dass eine Frau am Steuer saß“, erinnert sie sich. Oder Leute, die sie fragten, ob jemand sie dazu gezwungen habe. Doch es gab auch die, die ihren Mut in dieser reinen Männerdomäne bewunderten. Vor allem waren das Frauen. Ihre Berufswahl sieht Esenam daher auch als ein Empowerment-Statement für Frauen.

Kundenwerbung mit Plakat © Tina Adomako

„Es ist ein idealer Beruf, wenn man Familie hat. Man kann sich seine Fahrtzeiten einteilen, selber entscheiden, wann und wie lange man arbeitet.“ Sie ist sicher, dass viele Frauen ihren ökonomischen Status verbessern könnten, wenn sie als Fahrerinnen arbeiten würden. Aber dafür müsste der Beruf akzeptierter werden. „Ich bin ein „social deviant“, eine Abweichlerin von der Norm“, lacht sie. „Mir macht es nichts aus, auf ein paar Füße zu treten und etwas zu tun, was viele als nicht normal betrachten. Aber mir ist klar, dass nicht alle Frauen so sind. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass der Beruf als Bus- oder Taxifahrerin anerkannt wird.“

In Frankfurt für Ihre Vorreiterrolle ausgezeichnet © GIZ/Dirk Ostermeier

Heute ist „Miss Taxi“ sehr erfolgreich mit ihrem eignen Taxi-Unternehmen unterwegs. Sie fährt bevorzugt Geschäftsleute, NGO-Mitarbeiter und Touristen und hat mittlerweile eine große Stammkundschaft. Zurzeit  ist sie gleichzeitig für Metro Mass Transport, dem städtischen Busbetrieb der Hauptstadt Ghanas, als Botschafterin des Projekts „Women Moving The City“ unterwegs. „Women Moving The City“ ist ein gemeinsames Projekt von mehreren Stakeholdern, darunter der schwedische Bus- und Nutzfahrzeughersteller Scania und die deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, GIZ. Im Rahmen des Projekts werden derzeit 72 Frauen zu Busfahrerinnen ausgebildet. Esenam war von Anfang an am Projekt beteiligt, half die Kampagne zu entwickeln, führte Interviews mit den über 400 Bewerberinnen durch, und war an der Auswahl der 72 Frauen beteiligt, die nun zu Kraftfahrerinnen umgeschult werden. Am Ende des  Pilotprojekts winken Jobs für alle Frauen. Im März wurde das Projekt als eins der drei besten GIZ-Projekte für Gendergerechtigkeit ausgewählt und in Frankfurt ausgezeichnet.

Doch Miss Taxis Wunsch ist es, dass es nicht beim Pilotprojekt in der Hauptstadt bleibt, sondern dass es auch auf andere Regionen des Landes ausgeweitet wird, damit es zur Normalität wird, dass auch Frauen am Steuer von Bussen und Taxen sitzen.

Und wie geht es für Miss Taxi weiter? „In spätestens fünf Jahren will ich wieder zurück an die Uni, meinen Doktor machen. Und dann will ich die erste weibliche LKW- und Busfahrlehrerin des Landes werden und ganz vielen Frauen zum Führerschein für ein Nutzfahrzeug verhelfen.

(Erschienen in Africa Positive, Ausgabe April/Mai 2018)

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Ghana: Ein Land zwischen Fortschritt und Chaos

Goldküste nannten die Europäer den Küstenabschnitt, der sich mit der Küste des heutigen Ghana deckt. Dort fanden sie das edle Metall vor, das sie in Verzückung versetzte und jahrhundertelang Begehrlichkeiten und Besitzansprüche weckte.

Für das britische Empire war das Gold Grund genug, 70 Jahre lang Krieg gegen das Volk der Ashanti zu führen, die ihr Land und ihr Gold verteidigten, aber letztendlich den Waffen der Kolonisatoren nicht gewachsen waren. Die Goldküste wurde 1807 eine britische Kolonie und blieb es 150 Jahre lang. Lange bevor die Briten jedoch Anspruch auf die lukrative Gegend erhoben, hatten es die Portugiesen Jahrhunderte zuvor „entdeckt“. Auch sie waren vom vielen Gold fasziniert und nannten daher die erste Festung, die sie dort 1482 errichteten, „El Mina“, die Mine. Bereits 1486 erhielt der Ort das Stadtrecht und den Namen Elmina und wurde zum Haupthandelsplatz für Gold, aber auch für Elfenbein und Sklaven. Danach kamen die Holländer, die Dänen und die Schweden, die alle ein Stück vom Kuchen oder vielmehr vom Gold und vom Sklavenhandel haben wollten, bis das britische Königreich die Kontrolle übernahmen.

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