Kategorien
Film und Buch

Die Gleichung ihres Lebens

Die Liebesformel
„Die Gleichung ihres Lebens“
 von Anna Novion

Die Goldbachsche Vermutung ist eines der bekanntesten ungelösten Hilbertschen Probleme der Mathematik. Sagt Ihnen nichts? Seit über 280 Jahren beißen sich Mathematiker die Zähne an diesem Problem der Zahlentheorie aus. Da Goldbachs Vermutung bis heute weder bewiesen noch widerlegt ist, verbringen sie viel Zeit damit, endlich einen allgemeingültigen Beweis zu erbringen. Wie die Protagonistin in diesem Film. Um Zahlen und Formeln dreht sich das ganze Leben von Marguerite (Ella Rumpf), einer jungen Doktorandin an der renommierten École Nationale Superieure in Paris, die gemeinsam mit ihrem Professor an der Goldbachschen Vermutung arbeitet.

Der Professor (für diese Rolle holte Anna Novion erneut Jean-Pierre Darroussan vor die Kamera, der schon in ihrem ersten Langfilm „Wir sind alle erwachsen“ einen etwas trockenen Wissenschaftler spielte) sieht eine glänzende Zukunft in der Forschung für Marguerite. Doch völlig unerwartet schmeißt diese ihre Promotion hin, nachdem sie von Lucas (Julien Frison), einem neuen Doktoranden in der Mathe-Fakultät, während der Präsentation ihrer Dissertation vor versammelten Kollegen vorgeführt wird. Mit Mathe will Marguerite nichts mehr zu tun haben. Doch die durch und durch logisch denkende Mathematikerin in ihr macht es ihr schwer, in der oftmals unlogischen Welt außerhalb der heiligen Hallen der Wissenschaft klarzukommen. Kläglich scheitern daher ihre Versuche als Schuhverkäuferin oder Mitarbeiterin eines Meinungsforschungsinstituts. Als sie Noa (Sonia Bonny) kennenlernt, zu der sie ins Chinesische Viertel zieht, tut sich nicht nur eine viel lukrativere Verdienstmöglichkeit, sondern auch eine völlig neue Welt auf. Beim illegalen Mahjong-Spiel ist die Mathematikerin unschlagbar. Beim Clubbing, Flirten oder Daten jedoch völlig steif und unbeholfen. Hier zeigt Novion, die auch das Drehbuch schrieb, die zwei Seiten einer jungen Frau, die einerseits wie eine Superheldin außergewöhnliche Rechenfähigkeiten hat und souverän beim MahJong ihren Gegenspielern begegnet, und sich andererseits ängstlich-roboterhaft in der ihr völlig fremden Welt bewegt. auf choices.de weiter lesen

Frankreich, Schweiz 2023, Laufzeit: 114 Min., FSK 12
Regie: Anna Novion
Darsteller: Ella Rumpf, Jean-Pierre Darroussin, Clotilde Courau
>> weltkino.de/filme/die-gleichung-ihres-lebens

Kategorien
Film und Buch

It’s Raining Men

Was Frauen können
„It‘s raining men“
 von Caroline Vignal

Selbst ist die Frau! Mit dieser Botschaft schickte Caroline Vignal schon in ihrem letzten Film Laure Calamy als Lehrerin Antoinette auf eine wilde Trecking-Tour mit Esel quer durch die Cevennen, stets auf den Versen ihres verheirateten Liebhabers, der mit seiner Familie Urlaub machte. Für diese Rolle in der Komödie „Mein Liebhaber, der Esel und ich“ wurde Calamy 2021 mit dem César als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Auf Netflix gehört sie aktuell zum festen Cast der mit dem Emmy Award ausgezeichnete Serie „Call my Agent“. In „It’s Raining Men“ zeigt Calamy, die in Frankreich auch oft auf der Bühne zu erleben ist, erneut ihr komödiantisches Talent. Hier spielt sie die erfolgreiche Zahnärztin Iris, die nicht viel Zeit für ihre Familie hat. Deshalb kümmert sich ihr Mann Stèphane (Vincent Elbaz), der im Home-Office arbeitet, um Kinder, Küche, Haushalt, Elternabende und was sonst noch in einer Familie mit zwei Kindern ansteht. Abends ist der Vorzeige-Gatte völlig erschöpft, oder muss noch kurz etwas Wichtiges in seinen Laptop tippen. Nach Sex ist ihm am Ende des Tages nicht mehr zumute. Iris hingegen möchte auf Leidenschaft nicht verzichten. Als sie von einer Dating-App erfährt, über die man sich unverbindlich mit Männern zum Sex treffen kann, scheint sie die Lösung für ihr Problem gefunden zu haben.

Statt durch die Berge des Zentralmassivs schickt Vignal ihre Heldin diesmal auf eine wilde libidinöse Reise durch die Betten der unterschiedlichsten Männertypen. Die angeberischen, die anhänglichen, die erfolgreichen, die Loser, die Poser – Iris, die sich kaum noch vor Angeboten retten kann, lernt sie alle kennen. Ihre Versuche, die Terminplanung in der Praxis mit ihren geheimen Treffen zu koordinieren, inszeniert Vignal fast slapstickhaft. Wie ihre Heldin versucht, zwischen Mundspiegel, Speichelabsauger und Bohrer das immer öfter vibrierende Handy zu ignorieren, während sie am liebsten sofort drangehen würde – das ist wirklich witzig. Und dann fügt Vignal auch noch eine Tanz- Choreografie ein – eine der komischsten Szenen im Film. Völlig unerwartet steppen, springen, twisten und wirbeln alle Männer – mittendrin Iris – zu den Klängen des Weather-Girls-Hits „It’s raining men“. hier entlang zur kompletten Rezension

Frankreich 2023, Laufzeit: 98 Min., FSK 12
Regie: Caroline Vignal
Darsteller: Laure Calamy, Vincent Elbaz, Suzanne de Baecque
>> www.x-verleih.de/filme/its-raining-men/

Kategorien
Familie-Erziehung-Beziehung Film und Buch

Zwischen uns der Fluss

Die Schwere des Seins
„Zwischen uns der Fluss“ 
von Michael Klier, Lena Urzendowsky, Kotti Yun, Gaya von Schwarze

Alice und Cam, zwei Frauen aus unterschiedlichen Welten, stehen vor der existentiellen Frage: Wie geht Leben? In einer Welt voller Komplexitäten suchen die jungen Frauen nach Orientierung. Cam (Kotti Yun) hat sich zu Beginn des Films komplett vom Leben zurückgezogen. Nach einem rassistischen Überfall befindet sie sich zur Therapie in einer Klinik.

Von dem schrecklichen Ereignis komplett traumatisiert, drückt sich ihre innere Lähmung auch äußerlich dadurch aus, dass sie aufgehört hat, zu sprechen und zu laufen. Alice (Lena Urzendowsky) hingegen läuft viel – vor allem durch die Elbwiesen. Hier fotografiert und filmt sie den Fluss und seine Umgebung und postet anschließend Protestbotschaften gegen eine geplante Bebauung am Flussufer in den sozialen Medien. Ihre ganze Zeit und Leidenschaft gelten diesem Aktivismus. Dafür lässt sie ihr Studium schleifen, und auch für ihren Freund Chris hat sie kaum noch Zeit. Nach einer Umweltaktion zur Rettung der Elbwiesen wird Alice zu zwei Monaten Sozialdienst in der Klinik verpflichtet, in der Cam Patientin ist. So kommt es, dass sich die zwei Frauen begegnen, denn Alice bekommt die Aufgabe, sich um Cam zu kümmern.

Während Alice nonstop auf Cam einredet, in dem Versuch, etwas aus ihr herauszubekommen, schweigt Cam beharrlich. Immerhin bringt Alice sie dazu, den Rollstuhl zu verlassen und erste Schritte zu gehen. Und als Cams Klinikaufenthalt zu Ende geht und sie nicht weiß, wohin sie gehen soll, lädt Alice sie ein, bei ihr im vornehmen Villenviertel zu wohnen. Cam findet allmählich wieder ihre Worte und fängt an, von sich zu erzählen. Langsam öffnet sie sich und bietet Alice einen winzigen Einblick in ihre Welt. Prekäre Wohnsituation, ein Freund, der sie zur Heirat und Kinderkriegen drängt, gepaart mit ihrem Trauma – das alles lastet schwer auf Cam. Auch Alice fühlt sich vom Leben gebeutelt, doch ihr Weltschmerz besteht im Vergleich nur aus kleinen Stichen der Befindlichkeit. Erst als sie durch Cams Brille blickt, wird ihr langsam bewusst, wie gekünstelt ihr eigenes Beklagen einer angeblich ach so schweren Kindheit ist, und wie viele Privilegien sie als weiße Person tatsächlich genießt.

In ruhigen Bildern und langen Einstellungen wird die wachsende Freundschaft der zwei jungen Frauen geschildert. Es passiert nicht viel. Sie reden, sie tauschen Blicke und Berührungen, sie schweigen, sie radeln – und dabei dreht sich alles um die große, existenzielle Frage: Wie will ich leben? Durch die Freundschaft zueinander wächst in beiden die Kraft, am Ende den Weg zu finden, der für jede von ihnen gangbar ist. Ein poetischer Film über Freundschaft und das Erwachsenwerden.  mehr Filmrezensionen? Hier.

Deutschland 2023, Laufzeit: 94 Min.
Regie: Michael Klier
Darsteller: Lena Urzendowsky, Kotti Yun, Henriette Heinze
>> www.realfictionfilme.de/zwischen-uns-der-fluss.html