Gibt es Rassismus unter „Schwarzen“? Unter den Mitgliedern ein und derselben Familie gar? Wer ist überhaupt „Schwarz“? Wer bestimmt, wer Schwarz ist? Und was macht die Bezeichnung und Benennung der Hautfarbe mit einem Menschen? Wie wirkt sich das auf das Leben aus? Das sind die interessanten und existentiellen Fragen, denen Jonathan Escoffery in seinem Debütroman über eine in die USA eingewanderte Familie aus Jamaika nachgeht.
Ob die spannende Romangeschichte autobiographisch ist, weiß ich nicht, aber sie enthält sicherlich autobiographische Züge, denn wie sein Romanheld Trelawney wurde der Autor Jonathan Escoffery als Kind eingewanderter jamaikanischer Eltern in den USA geboren. Während Trelawney also Bürger des Landes ist, in dem er lebt, sind seine Eltern und sein Bruder Ausländer. Die Mutter ist sehr hellhäutig und kommt nicht damit klar, dass sie in ihrer neuen Heimat als Schwarze angesehen wird. Gleichzeitig ist ihr größter Horror, dass ihre Söhne später eine schwarze Frau heiraten könnten. Während die Brüder aufwachsen, bekommen sie ständig die Ermahnung, kein dunkelhäutiges Mädchen mit krausen Haaren anzuschleppen. Auf dem College dated Trelawney dann auch bevorzugt weiße Mädchen. Mit dem Blick ständig auf die alte Heimat gerichtet, fällt es der Mutter schwer in der neuen anzukommen. Und als ihre Jungs groß sind und ihre Ehe geschieden, kehrt sie nach Jamaika zurück. Auch Trelawney hadert mit seiner Identität. Er wächst in Miami auf und hängt in der Schule mit Jungs kubanischer Herkunft ab. Als herauskommt, dass er gar kein „Kubaner“, sondern ein „Schwarzer“ ist, wird er fortan von der Gruppe gemobbt. In einer Gesellschaft, die von einer weißen Mehrheit bestimmt wird– und die in Miami nicht einmal die tatsächliche Mehrheit bildet – gilt nicht die eigentliche Farbe der Haut, sondern vielmehr welcher ethnischen Gruppe diese Farbe zugeordnet wird. Später, als er schon längst erwachsen ist, lässt Trelawny einen Gentest durchführen, bei dem herauskommt, dass er zu 59,9% europäischer Herkunft ist. „Du Schwarzer, bist überwiegend Europäer,“ stellt er erstaunt fest.
Das ganze Schachern um Zuordnung ist so komplex und so sinnfrei, dass es Trelawny in eine tiefe Sinnkrise stürzt, für deren Verarbeitung er fast vier Jahrzehnte braucht.
In „Falls ich dich überlebe“ geht es aber um viel mehr als nur schwarze Identität. Neben einer sehr spannenden Familiengeschichte erzählt der Roman auch viel über die Geschichte der USA, das Land, das gerne als Schmelztiegel bezeichnet wird, in dem die verschiedenen ethnische Gruppen aber schön säuberlich voneinander getrennt leben und es in fast 250 Jahren so gut wie kein Zusammenschmelzen gegeben hat und bis heute nicht gibt.
Falls ich dich überlebe von Jonathan Escoffery, Piper Verlag, 2023, 288 Seiten, € 22,00, ISBN 978-3-492-07154-3