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Film und Buch

Toubab – ein Graphic Novel über Vorstellung und Wirklichkeit des Freiwilligendiensts

Viele junge Menschen entscheiden sich für ein Freiwillegendienst im Ausland, meistens in einem Land des globalen Südens. Dabei wollen sie andere Länder und Kulturen erleben und besser kennen lernen und sich dabei auch entwicklungspolitisch engagieren. Diesen Gedanken greift die spanische Comic-Zeichnerin Núria Tamarit in ihrem Graphic Novel „Toubab – zwei Münzen“ auf. 2017 nahm sie selbst an einem humanitären Hilfseinsatz in Gandiol, Senegal, teil und lässt ihre eigenen Erfahrungen in ihr Comic einfließen.

Ihr Alter-Ego heißt Mar und stammt in dieser Geschichte aus Frankreich. Mit ihrer Mutter fliegt Mar in den Senegal, um dort mit weiteren Freiwilligen aus Europa das Projekt, ein dörfliches Kulturzentrum zu bauen, zu realisieren. Mars Mutter ist schon viele Jahre in der Entwicklungsarbeit tätig, die Jugendlichen sind zum ersten Mal in einem afrikanischen Land. Für Mar ist es anfangs schlimm, dass es kein W-Lan und kein fließendes Wasser im Dorf gibt. Sie stöhnt über die Hitze und die Mücken, und wundert sich, dass die Wolof bei jeder Gelegenheit tanzen.

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Núria Tamarit: „Toubab“, 128 Seiten, Hardcover, Reprodukt Verlag, 2022, ISBN 978-3-95640-305-7, EUR 20,00

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Gesellschaft und Umwelt

Sind Namen Schall und Rauch? Umstrittene Denkmalkultur im öffentlichen Raum

Familienbedingt sitze ich oft im Flieger Richtung Ghana. Für mehrere Stunden liegt dann unter mir der „Schwarze Kontinent“. Die Route führt über Orte, die ich nur vom Namen kenne: Fada N’Gourma, Birnim Kebbi, Tillabéri. Beim Überfliegen denke ich oft daran, dass von diesen und ähnlichen Orten vor 400 Jahren Menschen zur westafrikanischen Küste getrieben wurden, wo sie auf Schiffe vor den Sklavenforts der früheren Goldküste verladen und in eine für sie unbekannte Zukunft verfrachtet wurden. Heute wissen wir, was mit den Millionen Menschen aus Afrika geschah. Und auch, was nach der Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels als Fortführung der Menschenausbeutung unter anderem Namen erfolgte.

Spuren der Kolonialzeit

Auf Einladung des Reichskanzlers Otto von Bismarck sicherten die „Weltmächte“ 1884/85 in Berlin einander das Recht zu, Länder und Gebiete in Afrika in Besitz zu nehmen und auszubeuten – zwanzig Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei. So begann die Kolonialzeit. Deutschland beanspruchte ein Drittel der aufzuteilenden Flächen. Wie die Sklaverei wurde auch der Kolonialismus irgendwann abgeschafft. Allzu lange ist es nicht her. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass mein Vater, in der Goldküste geboren, England noch lange Zeit als „motherland“ bezeichnen musste. Ghana erlangte erst 1957 seine Unabhängigkeit. Viele afrikanische Länder waren noch in den 60er Jahren Kolonien, manche wurden sogar erst Ende der 70er unabhängige Staaten. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Welt zwei Weltkriege hinter sich, man hatte Erklärungen über Menschenrechte verfasst, Demokratie, Freiheit und Gleichbehandlung als Ideale verankert. Unvorstellbar daher, dass Spuren der Kolonialzeit bis heute nur selten hinterfragt und Menschen, die Verbrechen verantwortet oder ermöglicht haben, noch immer auf Straßenschildern geehrt werden. Menschen wie Joachim Nettlebeck, Theodor Leutwein, Hermann von Wissmann oder Carl Peters – die alle noch auf Straßenschildern in NRW zu finden sind.

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Film und Buch Gesellschaft und Umwelt

Lagos – Leben in Suburbia

In der Ajayi Crowther Street in Lagos lebt der arrivierte Mittelstand. Hier versammeln sich die Nachbarn, um über die, die gerade nicht anwesend sind, zu tratschen, Nachbarschaftsbeschwerden zu besprechen und jeden Sonntag treu in die Kirche von Reverend Akpoborie zu gehen. Dieser hat mühsam das Geschäft mit der Moral und dem Wort Gottes aufgebaut. Nun brüllt er jeden Sonntag Christis Botschaften heraus und beschwört die Rache Gottes auf alle Sünder, die sich nicht bekehren lassen. Der vom heiligen Geist erfüllte Reverend verurteilt so ziemlich alles, was mit Fortschritt zusammenhängt. Doch ein Blick hinter die Fassade seiner eigenen heil(ig)en Familie zeigt, dass hier jemand Wasser predigt, der selbst Champagner trinkt.

Während der Pastor auf seiner Kanzel die Homosexualität verdammt, kämpft sein Sohn Godstime mit seiner Sexualität und traut sich in der homophoben Umgebung nicht, sich als schwul zu outen. Als die Eltern es dann nach einem tragischen Ereignis doch erfahren, nehmen sie lieber die Depressionen des Sohns in Kauf, als sich der Wahrheit zu stellen. Während Sex vor der Ehe von der ganzen Gemeinde als Sünde verdammt wird, wird Pastorentochter Keturah schwanger von ihrem Freund, der zu alledem auch noch Juniorpastor in Reverend Akpobories Kirche ist. Schnell sorgt Pastorengattin Caroline Akpoborie dafür, dass es rechtzeitig eine schöne Hochzeit gibt, bevor irgendwer Verdacht schöpfen könnte. Und was der Reverend selbst hinter verschlossenen Türen mit dem minderjährigen Hausmädchen Kyauta treibt …

Elnathan John kennt sein Nigeria gut und erzählt hier Geschichten aus dem Alltag im Großstadtmoloch Lagos. Geschichten, die sich genauso ähnlich in allen anderen afrikanischen Metropolen täglich abspielen. Die passenden Bilder dazu stammen aus der Feder des Comiczeichners Àlàbá Ònájin. Zusammen erzählen sie von religiöser Heuchelei, Korruption, Kinderarbeit, Homophobie, Sexismus, Materialismus, Nachbarschaftspolitik und Familienzwisten. Die Autoren prangern die Verlogenheit einer Gesellschaft an, in der Status mehr zählt als Menschlichkeit und in der es vor allem gilt, den Schein zu wahren. Aber auch das alltägliche Miteinander kommt nicht zu kurz, es bleibt Zeit für Geschwistergeplänkel und Nachbarschaftstreffen, während  Momente des Humors die steigende Spannung auflockern. Wie in einer Nollywood-Soap gewähren uns die Autoren mit lebendigen Bildern und flotten Dialogen Einblicke in das Leben ihrer Protagonist*innen. Fast hat man das Gefühl, selbst mitten auf der Ajayi Crowther Street zu sein.

 

Im Original (Titel: On Ajayi Crowther Street, Cassava Republic Press, 2019) sind die Dialoge neben English auch im typisch nigerianischen Pidgin gehalten, was zusätzlich zur Lebendigkeit dieser Graphic Novel beiträgt. Die deutsche Übersetzung versucht diese Nuancen beizubehalten, teilweise dadurch, dass manches nicht übersetzt wird. Das irritiert aber eher etwas beim Lesen. Es sollte jedoch kein Grund sein, nicht in einem Rutsch diese unterhaltsame und kritische Graphic Novel zu lesen.

(19.02.22)

„Lagos – Leben in Suburbia“ von Elnathan John und Àlàbá Ònájin, Avant Verlag, December 2021, 224 Seiten, Softcover, ISBN: 978-3-96445-060-9, € 25,00

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